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HV-Saison 2023: Geschwächte Aktienkultur

Autorenbild: Ethius Invest Ethius Invest

Aktualisiert: 11. Aug. 2023

Technische Pannen, blutleere Veranstaltungen und Terminkollisionen – so könnte ein erstes Fazit zur Hauptversammlungs-Saison 2023 lauten. Die aus den Corona-Notstandsregeln erwachsenen virtuellen Formate erschweren es Investierenden, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Der 17. Mai war in diesem Jahr bei Aktionärsvereinigungen, institutionellen Investoren und in den Wirtschaftsredaktionen ein häufig genanntes Datum. 35 oder gar mehr Aktiengesellschaften sollen an diesem Tag gleichzeitig ihre Jahresversammlungen ausgerichtet haben, darunter Schwergewichte wie die Deutsche Bank, der Medizintechnik- und Gesundheitskonzern Fresenius, der Energieriese Eon oder das Wohnungsunternehmens Vonovia.[1] Und auch der 11. Mai hatte es in sich. Allein fünf DAX-Unternehmen, nämlich adidas, BMW, Heidelberg Materials, das Luftfahrtunternehmen MTU Aero Engines sowie SAP, luden an diesem Tag zur Hauptversammlung ein.[2] Bedeutung der Hauptversammlungs-Saison für Investoren .


Für Investierende, die ihrer Verantwortung im Sinne einer Aktionärsdemokratie gerecht werden wollen, ist die Hauptversammlungs-Saison von großem Belang. Daher gilt es in dieser Zeit ganz besonders, sich optimal zu organisieren und möglichst gut aufzuteilen, um zumindest auf den wichtigsten Hauptversammlungen präsent sein zu können. Personalengpässe machen sich gerade jetzt häufig bemerkbar und bei Terminballungen im skizzierten Ausmaß stoßen selbst große institutionelle Investoren an ihre Grenzen.


Akteure wie das Deutsche Aktieninstitut, ein Verband am Kapitalmarkt tätiger deutscher Unternehmen, bemühten sich darum, die diesjährigen Ballungen von Hauptversammlungs-Terminen herunterzuspielen. Diese folgten regelmäßig aus einem engen Zeitkorridor, der sich einerseits aus dem meist im Frühjahr vorliegenden Jahresabschluss ergebe und andererseits dem Drängen vieler Investierenden auf baldige Ausschüttung der Dividende entgegenkäme. Zudem stünden die Termine häufig bereits seit Jahren fest. [3] Aktionäre und Aktionärinnen nehmen jedoch zu dieser Frage eine sehr andere Perspektive ein.


Terminkollisionen erreichen „neue Dimension“ Die Ballung von Hauptversammlungen habe 2023 eine „neue Dimension“ erreicht, heißt es beispielsweise und auch: „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“.[4] Die Terminkollisionen könnten kein Zufall sein und kämen fast einer „Flucht vor den Aktionären“ gleich, lautet die konkrete Kritik von anderer Stelle. Denn je weniger an den Hauptversammlungen teilnähmen, desto weniger Gegenwind gäbe es. [5] Als offenes Geheimnis gilt ohnehin seit Jahren, dass viele Unternehmen den Tag der Hauptversammlung der Deutschen Bank auch für ihre eigene bevorzugen. Denn so ließen sich „Querulanten“ fernhalten, weil sich diese dann praktischer Weise zeitgleich beim größten deutschen Finanzinstitut einfinden.[6] Auf die Frage, warum sich Hauptversammlungen gerade dieses Jahr so dramatisch an bestimmten Tagen häufen, gibt es eine erstaunlich einfache Antwort: Weil Aktiengesellschaften wegen Übergangsregelungen virtuelle Hauptversammlungen ohne Zustimmung der Aktionärinnen und Aktionäre abhalten können, fällt das „Korrektiv der Raumverfügbarkeit“[7] weg. Die Aktiengesellschaften sind in der Termingestaltung also ungleich freier, als wenn sie sich danach richten müssen, ob Veranstaltungsorte wie Messehallen noch Kapazitäten haben.


Gesetz zu virtuellen Hauptversammlungen


Als Notfallregelung zu Corona-Zeiten eingeführt, ist die Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung mittlerweile gesetzlich geregelt. Dies hatte die deutsche Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 angekündigt und zugleich versprochen, dabei die Aktionärsrechte uneingeschränkt zu wahren.[8] Dass Letzteres ernst gemeint ist, war zumindest dem Anfang 2022 vorgelegten Referentenentwurf kaum anzumerken. Investoren und Aktionärsvereinigungen, darunter auch Akteure wie CRIC, der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und Shareholders for Change, liefen dagegen Sturm.[9] Und es konnten im Ergebnis tatsächlich deutliche Erfolge erzielt werden.


So gab es klare Verbesserungen, etwa mit Blick auf das Auskunft- und Rederecht. Insgesamt ist das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 2022 an die Regelungen für Präsenzveranstaltungen angeglichen worden, wenn es auch noch deutliche Kritik gibt, etwa daran, dass die Anzahl vorab einzureichende Fragen „nach eigenem Ermessen“ beschränkt werden. Es wird befürchtet, dass dies der Willkür Tür und Tor öffnet.[10]


Virtuelle Hauptversammlungen sind zudem nur dann möglich, wenn die Satzung der entsprechenden Aktiengesellschaft diese dazu ermächtigt. Daher waren diesbezügliche Änderungen ein häufiges Thema der aktuellen Hauptversammlungs-Saison. Noch bis Ende August dieses Jahres sind virtuelle Hauptversammlungen als Übergang von den Corona-Regeln allerdings noch ohne Satzungsgrundlage möglich. [11]


Mehrheit der Dax-Unternehmen machen von Übergangsregelung Gebrauch

Dass viele Aktiengesellschaften, allein 28 [12] der 40 DAX-Unternehmen, von dieser Übergangsregelung gebraucht gemacht haben, hat vielfach Enttäuschung hervorgerufen. So kritisierte der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre auf der virtuellen Hauptversammlung des zur Deutschen Bank gehören Vermögensverwalters DWS, dass es kein guter Umgang mit Aktionären sei, eine Abstimmung unter exakt jenen Bedingungen durchzuführen, um deren Zustimmung die Verwaltung bittet.


Während die Aktiengesellschaften als Argumente für virtuelle Hauptversammlungen gemeinhin niedrigere Kosten, einen geringeren CO2-Fußabdruck und leichtere Möglichkeiten der Teilnahme vor allem für Aktionärinnen und Aktionäre im Ausland ins Feld führen, nehmen Investierende hier eine sehr klare Position ein. Vom Bundesverband Investment und Asset Management BVI, über die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und anderen Aktionärsvereinigungen bis hin zu institutionellen Investoren jeglicher Größe plädieren alle insbesondere für das hybride oder auch physische Format. DAX-Unternehmen wie die Deutsche Telekom, Volkswagen, BASF und Henkel erhielten daher auch Anerkennung dafür, 2023 zur klassischen Präsenz zurückgekehrt zu sein.


„Blutleere, langweilige und teils komatöse Veranstaltungen“

Virtuelle Hauptversammlungen sind bei Investierenden so unbeliebt, weil sie den in einer lebendigen Aktionärsdemokratie so wichtigen lebendigen Austausch zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionärinnen und Aktionären unterbindet. Eine echte Debatte komme nicht einmal ansatzweise zustande, kritisiert etwa die DSW. Virtuelle Hauptversammlungen werden als „blutleere, langweilige und teils gar komatöse Veranstaltungen“ beschrieben.[13] Zudem habe sich gezeigt, dass Fragenkomplexe oftmals zusammengefasst und inhaltlich abgeändert werden. Die Qualität der Antworten sei auch deshalb keinesfalls besser geworden. Zudem habe sich die Annahme, über virtuelle Lösungen könnten höhere Teilnahmequoten erreicht werden, bislang nicht bestätigt.[14] Kritik gibt es außerdem wegen technischer Störungen.


Hiervon kann Ethius Invest ein Lied singen. Bei der Hauptversammlung der Hannover Rück funktionierte die Einwahl nicht, weswegen der Gebrauch des Rede- und Fragerechts nicht möglich war. [15] Mit derartigen Einschränkungen hatte nicht nur der Vermögensverwalter aus Luzern zu kämpfen. In Deutschland soll es bei mindestens fünf DAX-Konzernen zu „gravierenden technischen Schwierigkeiten“ gekommen sein. Covestro und Continental sowie Siemens Energy und Commerzbank werden in diesem Zusammenhang genannt und außerdem besonders häufig das nicht im DAX vertretene Tourismusunternehmen TUI.[16]

Probleme mit dem virtuellen Format dokumentieren Derartige Erfahrungen schweben der DSW vor, wenn es unter www.hauptversammlung.de eine zentrale Möglichkeit anbietet, Probleme mit virtuellen Hauptversammlungen zu berichten. Dieser „Störungsmelder“ soll für 2023 „eine flächendeckende Evaluierung“ ermöglichen. Die Ergebnisse sollen im Herbst dieses Jahres vorgelegt werden.[17]


Welche Konsequenzen die Aktiengesellschaften aus den Erfahrungen mit dem virtuellen Format und der deutlichen Kritik daran ziehen werden, bleibt mit Spannung abzuwarten. Inspiration könnten sie zum Beispiel im europäischen Ausland erhalten. Denn hier geht, anders als in Deutschland, der Trend weg von der virtuellen Hauptversammlung. So war Frankreich bereits 2022 praktisch vollständig zur physischen Hauptversammlung zurückgekehrt. In Spanien dominiert das hybride Format, während in Großbritannien physische und hybride Aktionärsversammlungen vorherrschend sind.[18]


Lebendige Aktienkultur und Nachhaltigkeit


Ein europäischer Vergleich wäre zudem mit Blick darauf interessant, wie stark Nachhaltigkeits-Themen auf den Hauptversammlungen vorgetragen werden und letztlich Gehör finden. Denn gerade in der Debatte um Sustainable Finance und den Beitrag der Finanzwirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung wird Investierenden, die ein aktives Aktionariat pflegen, viel Potenzial zugesprochen. Und wenn dieses durch virtuelle Hauptversammlungen leidet, weil Vorstände und Aufsichtsräte sich hinter Bildschirmen verschanzen, Fragen ausweichen und Themen ignorieren können, geht ein wichtiges Korrektiv verloren.


Es wäre wünschenswert, wenn 2024 anstatt über virtuelle Hauptversammlungen im Rahmen von hybriden und physischen Formaten beispielsweise intensiv über die Klimastrategien der Aktiengesellschaften diskutiert und sogar darüber abgestimmt würde. [19] Während sich in Deutschland Investierende mit Terminkollisionen und technischen Störungen herumschlagen müssen, wird in Frankreich gerade ein Vorschlag zu „Say on Climate“ aktiv diskutiert. [20] So werden Ressourcen deutlich sinnvoller eingesetzt. Und zudem ist das ein konkreter Beitrag von Investierenden, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.


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[1] Dies berichten beispielsweise Meike Schreiber: Hauptversammlungen – Termin-Kartell verärgert Aktionäre (Süddeutsche Zeitung vom 14. März 2023) und Marc Liebscher: Großkampftag 17. Mai – das muss nicht sein (GoingPublic vom 23. Februar 2023). [2] Siehe Dividendenkalender 2023. [3] Vgl. Tillmann Neuscheler: DAX-Hauptversammlungen – Aktionäre im Terminkonflikt (FAZ vom 10. Mai 2023). [4] Episode 30: Aktionärsrechte unter Dauerfeuer! (BVI-Podcast Nachdenken vom 2. Juni 2023). [5] Vgl. Constantin Röse: Mehr als 20 Termine an einem Tag – Aktionärsschützer kritisieren Hauptversammlungsflut (ARD-Finanzredaktion, 17. Mai 2023). [6] Siehe Marc Liebscher, SdK-Vorstandsmitglied: Großkampftag 17. Mai – das muss nicht sein (GoingPublic vom 23. Februar 2023) und Episode 30: Aktionärsrechte unter Dauerfeuer! (BVI-Podcast Nachdenken vom 2. Juni 2023). [7] Marc Liebscher, SdK-Vorstandsmitglied: Großkampftag 17. Mai – das muss nicht sein (GoingPublic vom 23. Februar 2023). [8] Vgl. Mehr Fortschritt wagen. KOALITIONSVERTRAG ZWISCHEN SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UND FDP, Seite 112f. [9] Siehe hierzu exemplarisch: Stellungnahme des Corporate Responsibility Interface Center (CRIC), der Shareholders for Change (SfC) und des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zum Gesetzentwurf für virtuelle Hauptversammlungen vom März 2023. [10] Vgl. Virtuelle Hauptversammlungen – Konzernkritik muss wieder sicht- und hörbar werden (Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre vom 21. Dezember 2022). [11] Siehe für einen Überblick zum Gesetz für virtuelle Hauptversammlungen: Neue Regeln für die virtuelle Hauptversammlung (pwc, 17. November 2022). [12] Vgl. Tobias Gürtler: VIRTUELLE HAUPTVERSAMMLUNGEN – „Das war schon an der Grenze des Zumutbaren“ (WirtschaftsWoche, 30. Juni 2023). [13] Vgl. DWS-Newsletter April 2023, Seite 2. [14] Vgl. DWS-Newsletter Mai 2023, Seite 6. [15] Vgl. Susanne Bergius: Sustainable Finance – Gift für die Aktionärsdemokratie (Tagesspiegel Background Sustainable Finance, 11. Mai 2023). [16] Vgl. Tobias Gürtler: VIRTUELLE HAUPTVERSAMMLUNGEN – „Das war schon an der Grenze des Zumutbaren“ (WirtschaftsWoche, 30. Juni 2023). [17] Vgl. DSW stellt HV-Störungsmelder vor – Evaluierung der virtuellen Hauptversammlungen 2023 (DWS, 20. März 2023)

[19] Siehe Wirkungseffektive Aktionärsanträge unterstützen [20] Vgl. Französische Investoren fordern Klima-Abstimmungen (Handelsblatt Business Briefing Nachhaltige Investment, 14. April 2023, Seite7).


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