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  • AutorenbildEthius Invest

Steigende Erwartungen an Unternehmen in Bezug auf menschenrechtliche Sorgfalt

Aktualisiert: 16. Aug. 2021

Lieferkettentransparenz stärkt die Qualität der ESG Unternehmensanalyse. Ermöglicht das neue Lieferkettengesetz durch eine größere Offenlegung die genauere Analyse der Nachhaltigkeitsleistung deutscher Konzerne?


Im Zuge der Globalisierung haben Unternehmen zahlreiche Produktionsschritte in weit entfernte Länder verlagert. Gemäß dem Deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche

Zusammenarbeit und Entwicklung basieren rund 80 Prozent des Welthandels auf globalen Wertschöpfungsketten. Die Auswirkungen dieser Handelstätigkeiten in entfernten Ländern sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus von Akteuren wie Investoren, Gesetzgebern, Zivilgesellschaft und Konsument*innen geraten. Diese fordern Unternehmen dazu auf, Verantwortung für die negativen Folgen ihrer Tätigkeit entlang ihrer Lieferkette zu übernehmen. In jüngeren Jahren sind auch Gesetzgeber vermehrt zu der Erkenntnis gekommen, dass Regulierungen notwendig sind, um Missstände in Lieferketten vorzubeugen und zu beheben. So versprechen Lieferkettengesetze, Licht in oftmals unklare soziale und ökologische Bedingungen innerhalb globaler Lieferketten zu bringen. Die weltweite Verbreitung von Meldevorschriften soll Anreize für Unternehmen schaffen, ihre Umwelt-, Sozial- und Governance-Leistung (ESG) zu verbessern.

Regulierte Lieferkettentransparenz als Antrieb zum nachhaltigen Risikomanagement


Nationale Aktionspläne Wirtschaft und Menschenrechte – Der erste Schritt in die richtige Richtung


Bereits im Juni 2011 verabschiedete der UNO-Menschenrechtsrat Leitprinzipien für Staaten

und Unternehmen, um Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen von Geschäftstätigkeiten begangen werden, zu verhindern, anzugehen und zu beheben. Die drei Säulen dieser Reihe von Richtlinien sind die staatliche Schutzpflicht, die Unternehmensverantwortung, und der Zugang zur Wiedergutmachung . Die Arbeitsgruppe Wirtschaft und Menschenrechte der UN forderte Staaten dazu auf, Nationale Aktionspläne (NAP) zu lancieren, um diese Prinzipien auf nationaler Ebene umzusetzen.[1] Mit Erfolg: Im März 2021 hatten 25 Länder einen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, 18 Staaten befanden sich im Entwicklungsprozess und 13 Staaten hatten entsprechende regionale Initiativen lanciert.


Im Januar 2020 verabschiedete der Bundesrat in der Schweiz seinen Nationalen Aktionsplan 2020-2023 zur Umsetzung der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, der darauf abzielt, den Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten zu verbessern. Die durch die NAP

angestrebten Vorsätze, wurden in einigen anderen Ländern bereits gesetzlich verankert: In Frankreich verpflichtet seit 2017 ein Gesetz Unternehmen zu Sorgfaltsmaßnahmen und ermöglicht es Betroffenen bei Verstößen zivilrechtlich gegen Unternehmen vorzugehen. In Großbritannien verpflichtet ein Gesetz Unternehmen, Berichte über die Risiken moderner Sklaverei im Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit und die dagegen ergriffenen Maßnahmen zu veröffentlichen. Zudem ermöglicht eine umfangreiche Rechtsprechung die Haftung des Mutterkonzerns für Tochterunternehmen. Auch in den USA, den Niederlanden, Italien und Australien gibt es vergleichbare Gesetze, welche ebenfalls für Unternehmen gelten, die Waren in die jeweiligen Länder liefern.[2]


Im März 2021 hat das europäische Parlament mit einer großen Mehrheit den Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen verabschiedet und damit der EU-Kommission empfohlen, ein EU-weites Lieferkettengesetz einzuführen. Der daraus hervorgegangene Gesetzesentwurf sieht unter anderem eine eigenständige menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht sowie klare Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung vor. Das ambitionierte Gesetz soll für die gesamte Wertschöpfungskette gelten.[3]


Auf die Probe gestellt – Der Weg zum deutschen Lieferkettengesetz


Am 11. Juni 2021 beschloss der Deutsche Bundestag das Lieferkettengesetz, offiziell bekannt als Liefer­ketten­sorgfalts­pflichten­gesetz. Die Bundesregierung hatte im Dezember 2016 den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte im Bundeskabinett verabschiedet, der die Leitprinzipien der UN umsetzt. Mit dem Ziel, die Globalisierung fair und gerecht zu gestalten, wurden Unternehmen im NAP aufgefordert und angeleitet, ihre Sorgfaltspflicht für Menschenrechte wahrzunehmen. In einem weltweit einmaligen Monitoring Prozess überprüfte Deutschland von 2018 bis 2020, inwieweit die Unternehmen diesen Forderungen nachkamen. Das Monitoring bestätigte, dass freiwillige Initiativen zur Vorbeugung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten nicht ausreichen. Im maßgeblichen Erhebungsjahr 2020, galten bis zu 87 Prozent der deutschen Unternehmen als “Nicht-Erfüller”, womit der gesetzte Zielwert von mindestens 50 Prozent “NAP-Erfüller” verfehlt wurde. Mit diesem ernüchternden Ergebnis war das Fundament für das Lieferkettengesetz gelegt, denn eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag legte fest: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“[4]



Dem Gesetz ging auch ein starker zivilgesellschaftlicher Prozess voraus: Ein Bündnis von Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen schlossen sich zur Initiative Lieferkettengesetz zusammen. Im August 2020 reichte die Initiative eine an die Bundeskanzlerin Angela Merkel adressierte Petition ein, die ein starkes Lieferkettengesetz forderte und von mehr als 222’222 Menschen unterzeichnet wurde.


Das deutsche Lieferkettengesetz – Neue Regeln und eine neue Behörde


Mit dem neuen Lieferkettengesetz werden große Unternehmen in Deutschland verpflichtet, ab 2023 gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ihren Zulieferern vorzugehen. Das Gesetz gilt zunächst für Unternehmen mit mehr als 3’000 Mitarbeiter*innen. Ab 2024 werden auch Unternehmen mit über 1’000 Arbeitnehmenden in die Verantwortung genommen, was deutschlandweit 4’800 Unternehmen einschließt.[5] Durch das Gesetz werden diese Unternehmen dazu verpflichtet, im eigenen Geschäftsbereich und bei direkten Zulieferern Prozesse unternehmerischer Sorgfalt einzuführen.[6] Dies beinhaltet unter anderem die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte durch die Geschäftsleitung, die Durchführung einer Risikoanalyse zur Ermittlung von Menschenrechts- und Umweltrisiken, die Etablierung eines Risikomanagements, die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens und eine jährliche öffentliche Berichterstattung. Bei indirekten Zulieferern gelten die Sorgfaltspflichten nur anlassbezogen und nur wenn das Unternehmen einen möglichen Verstoß in Erfahrung bringt. Zentral ist auch die damit einhergehende Einrichtung einer neuen Behörde, die für die Einhaltung des Gesetzes zuständig ist und die Unternehmensberichte prüfen sowie den eingereichten Beschwerden nachgehen soll. Werden Versäumnisse oder Verstöße festgestellt, kann sie Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Umsatzes verhängen.


Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht – Neue Anreize für Investoren


Eine Initiative von Investor Alliance for Human Rights zeigt, dass solche Vorstöße auch in der Finanzwelt vermehrt auf Anklang stoßen. Die Gruppe von 105 internationalen Investoren aus 13 Ländern, deren verwaltetes Vermögen sich zusammen auf fünf Billionen US-Dollar beläuft, forderte bereits im April 2020 Regierungen auf, regulatorische Maßnahmen zu ergreifen, damit Unternehmen ein kontinuierliches Risikomanagement in Bezug auf mögliche Menschenrechtsverletzungen durch ihre Geschäftsaktivitäten betreiben.[7] Gemäß dem Aufruf beschäftigen sich Unternehmen seit langem mit dem Konzept der Sorgfaltspflicht durch Prozesse, die darauf abzielen, finanzielle Risiken im Zusammenhang mit Geschäftstransaktionen zu identifizieren. Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht sei eine Fortführung dieser etablierten Risikomanagementprozesse, die den Blick auf die Risiken für die Menschen richte und einsehe, dass in diesem Zusammenhang auch materielle Risiken für das Geschäft bestehen, einschließlich Reputationsschäden, finanzielle Verluste und rechtliche Verpflichtungen. Insofern sollte es die neu gewonnene Transparenz in Wertschöpfungs- und Lieferketten nachhaltigen Anlegern erlauben, in der Nachhaltigkeitsanalyse von Unternehmen Risiken und Chancen in Bezug auf ihre Anlage besser abschätzen zu können.


Ausblick


Die Initiative Lieferkettengesetz in Deutschland begrüßte die Einführung des Gesetzes, welches ein erster Schritt in die richtige Richtung sei. Gleichzeitig zeigte sie auch bereits

Mängel des Gesetzes auf: Ökologische Komponenten wie der Schutz des Klimas und der Biodiversität wurden in ihren Augen nur unzureichend im Gesetzestext berücksichtigt. Zudem solle das Gesetz beispielsweise auch eine zivilrechtliche Haftung ermöglichen und es Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Ausland erlauben, vor deutschen Gerichten Schadensersatz von verantwortungslos handelnden Unternehmen einzuklagen. Deshalb setzen sie sich nun weiter dafür ein, dass das deutsche Gesetz wirkungsvoll umgesetzt und nachgebessert wird, sowie, dass auch auf EU-Ebene ein starkes Lieferkettengesetz eingeführt wird.[8]





Hier Klicken Für mehr Informationen zu Stimmen von Ökonom*innen für ein Lieferkettengesetz


Im nachfolgenden Teil II wird Luisa Lange von Ethius Invest in einem Interview mit Eva-Maria Reinwald vom Südwind Institut auf die zivilgesellschaftlichen Forderungen an das Lieferkettengesetz eingehen. Eva-Maria Reinwald ist Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte beim Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene in Bonn und Expertin für das neue Lieferkettengesetz. Das Südwind Institut forscht und handelt für gerechte Wirtschaftsbeziehungen und setzt sich für die Vision einer wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gerechtigkeit weltweit ein.


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