Der Risikofaktor Plastik im Anlageportfolio
- Ethius Invest

- 4. Sept.
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Aktualisiert: 8. Sept.
Produktion und Nutzung von Kunststoffen steigen weltweit immer weiter an. Die internationale Politik konnte zur Lösung dieses drängenden Problems bislang keinen Durchbruch erzielen. Investierende fürchten indes finanzielle Verluste, wenn die Verursacher nicht umlenken. Plastik ist ein genialer Stoff: Es ist leicht und vielseitig einsetzbar – etwa für Verpackungen, Autos, Flugzeuge oder Möbel. Es ist wasserabweisend und kann praktisch in jede Form gebracht werden – von hauchdünner Folie bis hin zu massiven Bauteilen. Kunststoffe können durchsichtig oder bunt, weich oder hart, elastisch oder starr sein und lassen sich an fast jede Anwendung anpassen. Aufgrund der sehr günstigen Herstellungskosten eignet sich Plastik besonders gut für die Massenproduktion.
Plastik erzeugt Müll, schadet der Gesundheit und treibt die Erderwärmung an
Aufgrund dieser vielen Vorteile sind Kunststoffe aus dem Alltag von uns Menschen kaum noch wegzudenken. Damit geht jedoch auch eine Vielzahl von Nachteilen einher, die wir gerne ausblenden. So wird geschätzt, dass die sozialen Kosten von Plastik mindestens das Zehnfache seines Marktpreises betragen.[1] Einen Überblick zu den Gefahren, die durch Kunststoffe entstehen, gewährt der Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung. Diese lassen sich grob in drei Bereiche aufteilen:
Abfallproblem: Plastik befördert einen Lebensstil, der immer wieder neu in großen Mengen Müll produziert. Kunststoffe sind mittlerweile selbst in den entlegensten Weltregionen zu finden – beispielsweise auf menschenleeren Inseln oder in der Antarktis. Die Folgen für die Umwelt sind immens.
Gesundheitsschäden: Insbesondere, wenn in Kunststoffprodukten Zusatzchemikalien verwendet werden, etwa Weichmacher, kann dies Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Unfruchtbarkeit hervorrufen. Frauen sind davon tendenziell stärker betroffen.[2]
Klimawandeltreiber: Weil Plastik aus fossilen Energieträgern gewonnen wird und die Herstellung zudem viel Energie benötigt, heizt es außerdem den Klimawandel an.
Verantwortlich für die negativen Folgen unseres plastikbasierten Lebensstils wie auch dafür, Lösungen für diese Probleme zu finden, sind wir alle: Konsumentinnen und Konsumenten, Investierende, die Politik und die Wirtschaft. Gerade Unternehmen bieten aber einen guten Anknüpfungspunkt für Handlungsoptionen. Denn eine überschaubare Anzahl ist für einen beträchtlichen Teil der Produktion verantwortlich. So lässt sich laut dem letzten Plastic Waste Makers Index mehr als die Hälfte der globalen Plastikherstellung auf gerade einmal 20 Unternehmen zurückführen. Das von der australischen Minderoo Foundation in Zusammenarbeit mit Wood Mackenzie und Carbon Trust erstellte Ranking identifizierte 2023 bereits das zweite Mal die 100 wichtigsten Plastikproduzenten weltweit.
Die Stiftung erstellte dabei Rankings für die Kriterien Recycling, Abfall und klimaschädliche Emissionen. Die Top-Five der Klimaschädlichkeit stellen das chinesische Öl- und Gasunternehmen Sinopec, der weltweit größte PET-Produzent Indorama Ventures aus Thailand, ExxonMobil aus den USA, der ebenfalls in den USA ansässige Chemieriese Dow sowie das saudi-arabische Öl-Unternehmen Saudi Aramco. Im Plastik-Müll-Ranking sind die gleichen Unternehmen enthalten. Allerdings rangiert hier ExxonMobil auf Platz eins.
Transformationspfad für die Plastikindustrie
Dabei sollte nicht überraschen, dass sich in den Listen ganz weit oben Anbieter fossiler Energieträger finden. Schließlich werden die Rohstoffe für Plastik aus Erdöl gewonnen. Die Kunststoffindustrie spielt damit eine wichtige Rolle für den Klimaschutz. Das bedeutet konkret: Die Herstellung von Plastik muss zunächst defossilisiert und anschließend dekarbonisiert werden. Denn auch die Produktion erfordert einen hohen energetischen Einsatz. Organisationen wie der WWF wirken aus diesem Grunde darauf hin, dass neben klimaschädlichen Bereichen wie der Strom-, Stahl und Zementerzeugung auch Plastikhersteller auf Transformationspfade einschwenken.
So besteht das Erfordernis, die Herstellungsmenge deutlich zu reduzieren – und zwar insbesondere diejenige auf Basis von neuen fossilen Rohstoffen. Im Umkehrschluss müssen Recycling-Anteile erheblich steigen. Wenn bestimmte Produktionen auf Basis von recycelten Stoffen nicht möglich sind, was realistischer Weise anzunehmen ist, müssen die dann benötigen neue Rohstoffe durch synthetische Alternativen, etwa auf Basis von Biomasse oder Kunststoffabfällen, ersetzt werden. Der Produktionsprozess selbst muss den Transformationspfaden zufolge energieeffizienter gestaltet und auf eine grünstrombetriebene Elektrifizierung umgestellt werden. Für Restemissionen sind auch Kohlenstoff-Abscheidungstechnologien in der Diskussion, die jedoch wiederum mit Umweltrisiken und hohen Kosten verbunden sind.
Die größten Plastikverschmutzer sind Coca Cola, PepsoCo und Nestlé
Die Reduktion des Verbrauchs an Plastik und, wo dies nicht möglich ist, zumindest ein Recycling, wären also essenziell. Damit rücken neben den Produzenten ebenso Unternehmen aus dem Konsumgüterbereich wie die Getränkehersteller Coca Cola und PepsiCo oder auch der weltgrößte Nahrungsmittelhersteller Nestlé in den Fokus. Denn sie verursachen laut dem weltweiten Netzwerk Break Free From Plastic die höchsten Mengen an Kunststoff.[3] Sie gelten daher als sehr bedeutende Konzerne in der Wertschöpfungskette von Plastik– mit teils drastischen Folgen für Menschen, Pflanzen, Tiere – und damit den Erhalt von Ökosystemen und Biodiversität. Daher überrascht es nicht, dass nachhaltig orientierte Investierende genau den Umgang mit und Notwendigkeit von Kunststoffverpackungen auf Hauptversammlungen thematisieren.
So gibt es in der Proxy Resolutions Guide 2025 des Interfaith Centre on Corporate Responsibility (ICCR), ein interreligiöses Netzwerk für ethisches Investment, trotz des aktuellen Gegenwinds für Nachhaltigkeit allein sechs Aktionärsanträge aus diesem Jahr[4], die auf eine Reduktion der Plastikflut zielen. Sie richten sich an die Handelsplattform Amazon, die Baumarktkette Home Depot, die Lebensmittelkonzerne Kraft Heinz und Mondeléz International, PepsiCo und das Fast-Food-Restaurant Wendy’s International – und damit genau diejenigen Unternehmen, die über Verpackungen, meist nur zum einmaligen Gebrauch, Plastik in großem Stil in Umlauf bringen.
Gefragt sind Alternativen zu Einwegverpackungen
In diesen Aktionärsanträgen fordern die Investierenden Maßnahmen zur Reduktion des Plastikverbrauchs. Konkreter geht es um Optionen für Verpackungen als Alternative zu Einweglösungen, die entweder vollständig recycelt oder, besser noch, wiederverwendet werden können. Hinzu kommen Forderungen nach expliziten Reduktionszielen für den Verbrauch von Neuplastik sowie den Kunststoffverbrauch im Allgemeinen.
Den Investierenden geht es dabei auch um handfeste finanzielle Risiken. Sie argumentieren in dem Amazon-Antrag, dass sich für Unternehmen ein jährliches finanzielles Risiko von etwa 100 Milliarden US-Dollar ergeben könnte, wenn Regierungen von ihnen verlangen, die Kosten für die Entsorgung der von ihnen produzierten Verpackungen zu tragen. Und dies könnte tatsächlich eintreten, weil sich das Plastikproblem voraussichtlich weiter verschärfen wird. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ohne umgehende, drastische Maßnahmen wird sich Schätzungen zufolge allein der jährliche Anteil von Kunststoffen in die Ozeane – der schon heute erschreckende Ausmaße angenommen hat – bis 2040 fast verdreifachen.[5]
Die Vereinten Nationen arbeiten an einer Plastikkonvention
Ein Wendepunkt in den internationalen politischen Bemühungen zur Lösung des Kunststoffproblems könnten die Verhandlungen zur Plastikkonvention der Vereinten Nationen markieren, die im August 2025 in Genf fortgeführt werden sollen. Dass ein solcher Global Plastics Treaty erarbeitet wird, beschlossen die Vereinten Nationen 2022. Damals wurde festgehalten, dass die Plastik-Konvention den gesamten Kunststoff-Lebenszyklus von der Gewinnung bis zur Entsorgung inklusive der besonders gesundheitsschädlichen Chemikalien berücksichtigen soll.[6] Der ursprüngliche Plan war, eine Einigung Ende November 2024 in Südkorea zu erzielen. Doch die Unterhändler der über 170 Länder konnten sich nicht auf ein Maßnahmenpaket einigen. Fortschritte wurden – wie in den vorherigen Treffen – von der fossilen Gas-, Öl- und Kunststoffindustrie blockiert. Eine Allianz aus 65 Staaten und der Europäischen „High Ambition Coalition“ konnte sich vorerst nicht durchsetzen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich dies ändert. Denn laut Prognosen der OECD werden sich die weltweit produzierten Kunststoffabfälle bis 2060 verdreifachen, wenn sich nichts ändert.[7] Schon heute entfällt im Schnitt auf jeden Menschen weltweit etwa 37 Kilogramm Plastik – in reichen Ländern wie den USA sind es mit circa 216 Kilogramm erheblich mehr.[8] Erschwerend kommt hinzu: Die aktuelle Recycling-Quote beträgt noch nicht einmal 15 Prozent, wobei es sich zudem meist um so genanntes Downcycling handelt, bei dem minderwertige Produkte im Vegelich zum Ursprungsmaterial entstehen.[9] China ist ein Treiber der Plastikflut. Aber auch Industrieländer wie Deutschland müssen sich bewegen. Die größte Volkswirtschaft der EU zählt nach wie vor zu den weltweit größten Exporteuren von Kunststoffabfällen[10] – und lagert damit viele Probleme kurzerhand in den globalen Süden aus.
Chancen und Risiken für Investierende
Die Risiken dieser Entwicklungen – allein für die Gesundheit des Menschen – sind kaum abzusehen. Beispielsweise fällt die Verschmutzung von Böden und Binnengewässern mit Plastik mittlerweile sogar vier- bis 23-mal so hoch aus wie diejenige der Meere.[11] Neben plötzlichen und drastischen politischen Maßnahmen müssen Unternehmen daher auch mögliche Klagen und Rechtsstreitigkeiten in den Blick nehmen. Investierende haben somit allein aus einer finanziellen Risikoperspektive ein Interesse daran, das Plastikproblem in ihren Anlagestrategien zu berücksichtigen. Dies kann über Dialogstrategien geschehen – wie am Beispiel der aktuellen Aktionärsanträge zur Plastiknutzung in der Proxy Resolutions Guide von ICCR zu sehen.
Unzureichende Datenbasis
Dabei sind Investierende auf verlässliche Informationen und eine gute Datenbasis angewiesen, um die Risiken und Chancen einschätzen zu können. Nachhaltigkeits-Rating-Agenturen fällt damit eine wichtige Rolle zu. Allerdings decken sie das Kunststoffthema bislang unzureichend ab, wie eine Analyse der deutschen NGO Facing Finance ergab. Demnach berücksichtigen alle untersuchten Anbieter zwar zumindest einige kunststoffbezogene Aspekte, insbesondere in der Konsumgüterbranche und der fossilen Industrie. Informationen zu Treibhausgas-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette gibt es jedoch kaum. Zudem kommt laut Facing Finance eine kritische Bestandsaufnahme von Umfang, Machbarkeit und Wirksamkeit der Plastikreduktionsziele von Unternehmen zu kurz. Gesundheitliche Risiken würden meist nur rudimentär adressiert und Daten zu sozialen Auswirkungen fehlten gänzlich.
Die Rolle des Finanzsektors für den Wandel hin zu Zero Waste
Facing Finance fordert daher eine umfassendere und transparentere Berücksichtigung kunststoffbezogener Aspekte durch Nachhaltigkeits-Rating-Agenturen. Denn der Finanzsektor spielt nach Überzeugung der NGO eine zentrale Rolle beim Übergang zu einer Zero-Waste-Wirtschaft.
Die Plastikverschmutzung ist nicht nur ein Umwelt- und Klimaproblem, sondern eine umfassende soziale und ökonomische Herausforderung. Sie erfordert ein konsequentes und koordiniertes Handeln auf politischer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene. Insbesondere der Finanzsektor kann dabei eine Schlüsselrolle einnehmen – durch verantwortungsvolle Investitionsentscheidungen, den Druck auf Unternehmen zur Umstellung auf nachhaltige Praktiken und die Unterstützung von Innovationen im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob im August in Genf eine Einigung zur Plastikkonvention erzielt werden kann. Profitieren würden wir alle.
Ethius Invest im August 2025
[1] Vgl. 2025 ICCR Proxy Resolutions and Voting Guide, Seite 103.
[2] Vgl. https://www.boell.de/sites/default/files/2022-01/Boell_Plastikatlas%202019%206.Auflage_V01_kommentierbar.pdf, Seite 18f.
[3] https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/coca-cola-erneut-groesster-plastikverschmutzer/
[4] 2025 Proxy Resolutions and Voting Guide, Seite 94: https://www.iccr.org/reports/2025-iccr-proxy-resolutions-and-voting-guide/
[8] https://www.mdr.de/wissen/umwelt-klima/plastik-weltweit-weniger-als-zehn-prozent-recycling-100.html und https://de.statista.com/themen/4645/plastikmuell/#:~:text=In%20den%20EU%2DL%C3%A4ndern%20entstehen,Pro%2DKopf%20%C3%BCber%20dem%20Durchschnitt.
[11] https://www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/Bilder_und_Downloads/Neues/Mediathek/Publikationen/Magazin/2018_Genuss/leib_mag_08_web_komprimiert.pdf


