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  • AutorenbildEthius Invest

Die europäische Militarisierung als schlechtes Investment

Aktualisiert: 31. März

Von der Zeitenwende, die der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 ausgerufen hatte, profitierte bislang in erster Linie die Rüstungsbranche. Debatten über Fragen von Waffen und Militär verlaufen derweil in den Diskursen zu Sustainable Finance häufig wenig analytisch – in ethischer und finanzieller Hinsicht. Das Ausschlusskriterium Waffen und Rüstungsgüter gehört zu den Klassikern der ethisch-nachhaltigen Geldanlage. Und daran hat sich bislang trotz der global zunehmenden gewaltsamen Konflikte und der fortschreitenden politischen Polarisierung zumindest oberflächlich betrachtet wenig geändert: Knapp 99 Prozent der Fonds, die ein Nachhaltigkeitsprofil des Fachverbands Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) ausgefüllt haben, weisen dieses Kriterium aus. Streubomben und Antipersonenminen, geächtete Waffen qua Oslo- und Ottawa-Abkommen, sind für 100 Prozent der dort aufgeführten Fonds tabu.

  Wenngleich Letzteres vor dem Hintergrund, dass in einigen Ländern bereits seit längerem ein Verbot der direkten Finanzierung besteht, erwartbar scheint, vermag die nach wie vor hoch erscheinende Quote angesichts des sich offensichtlich stark gewandelten Diskurses doch überraschen. Denn wäre es noch vor ein paar Jahre denkbar gewesen, von als „dunkelgrün“ bekannten Fondsmanagern zu hören, für die sich Rüstungsunternehmen von Ausschlusskandidaten zu Portfolio-Diversifizierungs-Potenzialen gemausert haben? Deutschland auf Platz zwei bei Waffenlieferungen an die Ukraine Dieser Wandel in Bewertung und Argumentation verdient eine genauere Betrachtung. Zunächst lässt sich der zeitliche Ausgangspunkt des veränderten Diskurses genau datieren, nämlich auf den 24. Februar 2022, den Tag, an dem Russland die Ukraine überfiel. Kurz darauf rief der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die so genannte Zeitenwende aus und kündigte an, den Haushalt 2022 einmalig mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Rüstung und Bundeswehr auszustatten. Viel von diesem Geld sollte direkt in die Ukraine fließen – zur Unterstützung ihrer legitimen Selbstverteidigung. Bei den Waffenlieferungen dorthin belegt Deutschland mittlerweile nach den USA Rang zwei. Die Situation in der Ukraine erscheint derweil festgefahren. Es wird ein „zermürbender Stellungskrieg“ befürchtet, von einem „Abnutzungskrieg“ gesprochen und eine „Pattsituation“ mindestens genauso häufig festgestellt wie dementiert. Während der französische Präsident Emmanuel Macron bereits laut darüber nachdenkt, Bodentruppen zu entsenden, warnen andere davor, beispielsweise der aus den Medien bekannte Schriftsteller und Philosoph Richard David Precht, Deutschland immer tiefer in diesen Krieg zu verstricken. Aktuell werden in Europas größter Volkswirtschaft Lieferungen des Marschflugkörpers vom Typ Taurus in die Ukraine intensiv diskutiert. Die Unionsfraktion scheiterte am 14. März 2024 im Bundestag mit einem entsprechenden Antrag. Exzellente Auftragslage bei Rüstungsunternehmen Einen weitgehenden politischen Konsens gibt es in Europa indes für das Bestreben, die Rüstungsproduktion und -beschaffung weiter massiv anzukurbeln. Waffenproduzenten werden von der Politik daher regelrecht hofiert. So reiste der deutsche, in der Taurus-Frage vorsichtig-zurückhaltende Bundeskanzler persönlich zum ersten Spatenstich einer neuen Munitionsfabrik, die der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall im niedersächsischen Dorf Unterlüß bauen lässt. Die neue Produktionsanlage, die binnen kürzester Zeit fertiggestellt werden soll, wurde anlässlich des Baustarts von politischer Seite als „konkreter Beitrag“ dafür gewürdigt, die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Nicht nur Rheinmetall, sondern die Rüstungsbranche insgesamt erfreut sich aktuell einer exzellenten Auftragslage. Dies gilt neben Europa und Nordamerika auch für die Konkurrenz im Nahen Osten und in Asien.

 

Inwieweit die Finanzvolumina, die in die Militarisierung des europäischen Kontinents fließen, in Folge des Angriffskriegs auf die Ukraine bereits angestiegen sind, zeigen Zahlen der Europäischen Verteidigungsagentur. Im jährlichen Bericht für 2022 wies sie für die Verteidigungsausgaben die Rekordsumme von 240 Milliarden Euro aus, was gegenüber dem Vorjahr einem Plus von sechs Prozent entspricht. 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten erhöhten demnach ihre Verteidigungsausgaben, sechs davon um mehr als zehn Prozent. Förderung von Rüstung und Verteidigung durch die EU Die EU möchte dabei vor allem die rüstungspolitische Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten stärken. Wichtiges Instrument hierfür ist der Europäische Verteidigungsfonds, der für den Zeitraum 2021 bis 2027 mit knapp acht Milliarden Euro ausgestattet ist. Nach dem Überfall auf die Ukraine sind zudem im Eiltempo die Programme EDIPRA (siehe Textkasten) und ASAP (siehe Textkasten) beschlossen worden.



Auf eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Rüstungsindustrie und eine gemeinsame Beschaffung hinzuwirken, finden auch Fachleute aus der Friedensforschung grundsätzlich vernünftig, wie in einem Beitrag zu lesen ist, der Anfang 2024 im Magazin Weltsichten erschien. Allerdings hapert es in der EU offenbar an der Umsetzung. Die Münchner Sicherheitskonferenz beispielsweise spricht in einem Bericht vom Juni 2023 von einer „pathologischen Fragmentierung der industriellen Verteidigungsbasis Europas“ und hält fest, dass mehr getan werden müsse, um diese zu überwinden. Letztlich geht es darum, massiv Gelder einzusparen, was bei der Rüstungslobby allerdings kaum auf Gegenliebe stößt. Sie verwahrt sich gegen „interventionistische Instrumente“, wie sie auf Anfrage des Magazins Weltsichten schreibt. Waffenproduzenten wollen eben keine politischen Ziele erreichen, sondern einfach Produkte verkaufen.

  Rüstungskonzernen geht es nicht um Politik, sondern um Profite So wird es vermutlich auf absehbare Zeit bei den schon vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine beklagten Ineffizienzen in der EU bleiben. Von 17 verschiedenen Modellen an Kampfpanzern, 20 verschiedene Kampfflugzeugtypen und 29 Zerstörern für die Marine war bereits 2018 die Rede. Was aus politischer Sicht suboptimal ist, stellt sich für die Rüstungsbranche selbst schlicht als das bessere Geschäft dar. Und sich bei den Aufträgen allein auf Europa zu konzentrieren ist für die Waffenschmieden ohnehin keine Option. Denn trotz der zunehmenden militärisch ausgetragenen Konflikte in der Region tendieren sie dazu, das potenzielle Auftragsvolumen aus Europa langfristig als nicht ausreichend zu bewerten. Aus politischer und ethischer Perspektive führt die Tatsache, dass Rüstungsunternehmen in Europa für den Weltmarkt produzieren, unweigerlich zu der Frage, wie garantiert werden kann, dass diese Militärgüter nur in den Händen von Menschen landen, die damit Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen. Dieses Thema ist keineswegs neu und war auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Beispielsweise sollen laut Medienberichten auch nach der Annexion der Krim noch Waffen aus mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, Italien und Frankreich, nach Russland exportiert worden sein. Und Rüstungsunternehmen stehen zudem immer wieder wegen Kontroversen in der Kritik. Rheinmetall etwa wurde vorgeworfen, Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu leisten, weil es Waffen an Saudi-Arabien und dessen Verbündete im Jemenkrieg lieferte. Können Investitionen in Waffen und Rüstung ethisch sein? Diejenigen, die vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs also fordern, Investitionen in Waffen und Rüstung nicht mehr auszuschließen oder sogar als ethisches Investment oder sozialverträgliche Wirtschaftstätigkeit bevorzugt berücksichtigt sehen wollen, müssten spätestens an dieser Stelle ins Grübeln geraten. Denn dass sich die hiesige Rüstungsbranche keinesfalls der europäischen Politik und deren Zielen verpflichtet sieht, entkräftet Stimmen, die Investitionen in Waffenproduzenten vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs zu einem moralischen Imperativ stilisieren. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus im Nachhaltigkeitskontext relevante Aspekte, die sich auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Militärgütern in den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten beziehen. Investierende profitieren von steigenden Kursen Mit Blick auf Investitionen in Rüstungsunternehmen argumentieren ethisch-ausgerichtete Anleger und Anlegerinnen klassischerweise so, dass Waffen und Rüstung zwar ein notwendiges Übel in dieser Welt sein mögen. Dies könne jedoch nicht rechtfertigen, von dem damit immer auch verbundenen menschlichen Leid finanziell zu profitieren. Die seit dem Beginn des Ukrainekriegs teils massiven Wertsteigerungen bei Waffenschmieden wie Rheinmetall, Hensoldt oder Lockheed Martin, um nur einige Beispiele zu nennen, nahmen indes viele Investierende gerne mit. Ob dies, zumindest bei einigen, nur ein Nebenprodukt eines ansonsten ethisch motivierten Investments war, soll dahingestellt bleiben. Erforderlich in dem Sinne, dass für Rüstungsunternehmen in letzter Zeit Probleme bestanden hätten, sich an der Börse zu refinanzieren, waren sie in jedem Fall nicht.

 

Die Frage, ob Rüstungsunternehmen über Kurzfristprofite hinaus auch in einer Langfristbetrachtung Renditebringer sind, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt Analysten, die diese Frage klar verneinen und dafür folgende Begründung anbringen: Die Produktion von Militärgütern ist der Inbegriff besonders kapitalintensiver Geschäftsmodelle mit geringen Skaleneffekten und daher überschaubaren Margen – selbst bei hohem Umsatzwachstum. Durch die Abhängigkeit von wenigen Großkunden und Staaten mit oft willkürlichen Entscheidungen könnten darüber hinaus Klumpenrisiken entstehen. Investitionen in Rüstungsunternehmen wären damit aus finanzieller Perspektive langfristig nicht empfehlenswert. Systemische Risiken Hinzu kommt das Argument des systemischen Risikos. Weil niemals gänzlich kontrollierbar ist, in wessen Hände Rüstungsgüter und Waffen letztlich gelangen, bergen diese neben möglichen Vorteilen wie Schutz und Verteidigung immer zugleich die Gefahr, die Welt unsicherer und konfliktreicher zu machen – was der Real- und damit der Finanzwirtschaft Schaden zufügen kann. Daher setzen sich Investoren beispielsweise auch gegen Atomwaffen ein. Mit ihnen sind unmittelbar systemische Risiken verbunden, die sich negativ auf die Wirtschaft und damit die Finanzmärkte einschließlich aller Anlageklassen auswirken können.


Vor diesem Hintergrund kann auch die aktuelle, auf eine Militarisierung des Kontinents setzende europäische Politik nochmals in einem anderen Licht erscheinen. Die Friedens- und Konfliktforschung entwickelte und untersuchte über die Jahre und Jahrzehnte effektive Konzepte und gewann vielfältige Erkenntnisse. Beispielsweise gibt es den Ansatz der „sozialen Verteidigung“ (siehe Textkasten) – ein weltweites Phänomen, das in unterschiedlichen Kontexten bereits effektiv positive Wirkung zeitigen konnte.

 

Der aktuelle politische Diskurs blendet die Diskussion von alternativen Lösungsansätzen und längerfristigen Entwicklungspfaden jedoch weitgehend aus. Und aus Investorensicht spricht – sowohl aus ethischer wie aus finanzieller Perspektive – die Vernunft nach wie vor für den Ausschluss von Rüstungsunternehmen. Diese werden ohnehin von uns allen über Steuern und von vielen ethisch Investierenden indirekt über Staatsanleihen finanziert. Spannend bleibt das Feld, im Rahmen von kritischen Engagements Rüstungsunternehmen mit Blick darauf herauszufordern, an wen ihre Militärgüter liefern und wie sie ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gerecht werden.

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